Der Waggon der roten Schmalspurbahn …

Der Waggon der roten Schmalspurbahn war bis auf den letzten Platz besetzt. Rucksäcke und Rollkoffer standen herum, Skis und Snowboards; Mütter und Väter hatten ihre Kinder ordentlich platziert, die Hunde lagen unter den Sitzbänken; eine Katze miaute ab und zu in einem Bastkäfig. Der Himmel dunkelte; die schweren, bewaldeten Berge schoben sich von Fenster zu Fenster und verschwanden plötzlich, wenn der Zug einen Tunnel passierte. Der Tag war kalt und sonnig gewesen, und Müdigkeit stand auf den Gesichtern der schweigsamen Touristen.

Nur er war wach, wirklich wach. Er, weisshaarig und dicklich, mit einem Schnäuzchen, das er sich wohl aufs Alter hin hatte wachsen lassen, er studierte offenen Auges den Bildschirm seines Handys und informierte seine Gattin und uns alle mit gewichtiger Stimme, das der Zug eben Bravin passiert habe, und zwar genau um 16.34, somit praktisch fahrplangemäss, ein einzige Minute Rückstand habe er, was der Lokomotivführer, wenn er seine Pflicht ernst nehme, mit Leichtigkeit aufholen könne, falls die Leute auch zügig aus- und einsteigen würden, was er hoffe, und auch keine Sache sei, schliesslich könne von jedem Reisenden verlangt werden, dass er sein Gepäck und die Skis rechtzeitig in beide Hände nehme und lückenlos aufschliesse. Dann könne man rechnen, um 17.14 in Rheinquatt einzutreffen, und dann hätten sie zum Umsteigen in den Anschlusszug sieben Minuten, anderenfalls sechs, was auch reiche. Wir alle waren beruhigt und erleichtert, dass der Mann und seine Liebe ohne Hast ihren Zug erreichen werden, doch, oh Schreck, da entdeckte der weisshaarige Dickliche mit dem Schnäuzchen unerwartet mögliches Ungemach, denn auf der weiteren Strecke wurden laut Bahninformation Blockierungen unklarer Ursache vermeldet, und schlimmstenfalls könnte – so meinte unser Mann – dies zu verspäteter Heimkehr des nun bedrückten Paares führen, o weh!

Der Mann entdeckte beim besten Willen keine weiteren Hinweise, weder über die vermutete Dauer der Blockaden noch über die Ursachen, und alles blieb in fürchterlicher Ungewissheit stecken und wurde flugs zur schweren Sorge für die beiden Reisenden, denn solche Einbrüche in die Ordnung des Fahrplanes bringen den Erfolg des schönsten Ausfluges ins Wanken. Denn was wäre ein Reislein ohne geordnete Abwicklung des Planes? Eine herbe Enttäuschung – und die Gattin beeilte sich, mit ihrem Handy Genaueres zu eruieren, wohl in der Hoffnung, ihrem Mann Beruhigung zu verschaffen, denn sonst würde nicht nur die Reise, sondern auch der spätere Abend zum Teufel sein; doch der Mann schüttelte unwirsch den Kopf, und Runzeln frassen sich in seine Stirn, denn er, er ist der Experte in der Bundesbahnfahrplanrecherche und nicht die Frau, und er hätte ihr wohl besser kein Handy zu Weihnachten geschenkt.

Der Mann hielt seinerseits Ausschau nach Umleitungsmöglichkeiten und entdeckte den 17.32, der über Wollisberg fährt, den könnten sie nehmen, wie er meinte, es wäre zwar ein beträchtlicher Umweg, dafür aber laut Information ohne jegliche Hindernisse – also eine gewisse Erleichterung, zumal man beidseitig ein Generalabonnement besitzt, folglich nach Belieben das Streckennetz benutzen darf. Und sie könnten am Schluss eine Station früher aussteigen und den Bus Nummer 11 um 18.23 nehmen, der beinahe vor die Haustür fährt, womit nochmals etliche Minuten gewonnen wären und die Heimkehr noch im vertretbaren Rahmen erfolgte.

Wir alle waren bekümmert und litten mit und hofften auf schleunigstes Beheben des Malaises seitens der Bahnen. Und auf ebenso rasche Mitteilung des Erfolgs, fürchteten aber, dass auch dann bald schon neue Hindernisse dem Weisshaarigen vors Bildschirmvisier geraten könnten und wir alle erneut mitsorgen müssen. Oder wenn nicht: So wünschten wir ungehinderte Entschlusskraft des Paares und Eingehen des Umwegrisikos mit um Weniges verzögerter, doch aber geordneter Heimkehr.