… die schöne St. Gallerin im Botanischen Garten …

… du steigst in den Vorortszug, setzt dich und bemerkst im Abteil jenseits des Korridors die junge Dame, die sich bereits eingerichtet hat, vielleicht zwanzigjährig, mollig, mit einem schillernden Streifen an ihren engen Hosen. Ihr Makeup ist tadellos. Mit eiligem Schritt nähert sich eine um wenige Jahre ältere, eher sportlich-knochige, adrett gekleidete Frau und platziert sich der Molligen gegenüber. Geschäftig zieht sie ihr Handy hervor, studiert die neuen Einträge, nimmt Notizblock und Bleistift hervor und notiert eifrig, den Kiefer angespannt und entsprechend die Gesichtszüge.

Die Jüngere holt gelassen ihr grosses Arsenal an Schmink-Utensilien aus einer glitzernden Paillettentasche und verbessert das bereits perfekte Werk, und dies während der ganzen halbstündigen Fahrt. Ich beneide ihre Geduld und ihre feine Hand und bereue es, dass ich ihr nicht näher sitze, um die weitere Arbeit zu verfolgen und zu bewundern. Ihre Hingabe ist grenzenlos und ihr Werkzeug ist es auch. Verschiedenste Pinsel und Töpfchen, Quasten und Quästchen, eine grosse Reihe von Farben für Puder und Augenlider, Wangen und Kinn, Brauen und Stirn türmen sich auf dem Tischchen des Abteils. Immer wieder setzt die Künstlerin neu an und findet Bereiche, die noch der Überarbeitung harren.

Übrigens: Falls Sie denken, dass ich die halbe Stunde Zugfahrt die beiden schamlos angestarrt habe, so täuschen Sie sich gewaltig; mir genügt ein flüchtiger Blick ab und zu; mein visuelles Gedächtnis ist geübt, und so reichen mir ab und zu auffrischende Bilder. Und wir alle haben schliesslich – so hoffe ich – ein entwickeltes Vorstellungsvermögen, um uns solche Szenen mit dem inneren Auge auszumalen.

Und unwillkürlich überlegst du dir, ob du denn zur Wahl gezwungen werden könntest, zur Wahl zwischen der Beflissenen und der Schönheitsbemühten, dabei ist das doch keine Wahl, die Beflissene könnte sich morgen um ihre Schönheit bemühen – oder mindestens um ihre Attraktivität, um es zurückhaltender zu beschreiben – und die heute Schöne könnte morgen auf ihre Prüfung lernen oder ihre Mails beantworten oder sich anderer Arbeiten widmen.

Aber vielleicht ist das gar nicht der Punkt. Der Punkt ist – und du als Mann runzelst die Stirn – dass die Frauen den Zug übernommen haben, im eigentlichen, tiefen Sinne. Der Zug gehört ihnen. Sie prägen ihn. Mit ihrer Hingabe ob an die Arbeit oder die Schönheit, mit ihrer Fähigkeit, ihrem Willen zur Tat, das ist es, was dich fasziniert, während der Mann – der Mann! – dir gegenüber gelangweilt die Gratiszeitung durchblättert. Welch ein Gegensatz! …