… Ich liege auf dem Rasen im Park. Nacht ist es geworden, doch die Luft ist lau, und in meinem Arm liegt Liese. Ich liebe Liese, und ich liebe es, mich mit ihr im Park zu treffen, oder mit ihr in den Park zu spazieren, mich niederzulegen, Liese im Arm. Ihr Körper ist warm, ihr üppiger Körper, und ich liebe ihn, ihre weiche, mollige Art, sie ist auch seelisch mollig, so empfinde ich es, sie hat eine mollige Seele, und ich sehne mich nach ihrer Seele, wenn das auch komisch klingt, sich nach der Seele sehnen, denn sie, Liese, liegt ja da, es gibt nichts zu sehnen, wenn sie daliegt. Warum soll man sich nach etwas sehnen, das da ist, und doch ist es ein Sehnen, ich kann es nicht anders beschreiben, aber vielleicht ist Sehnen auch nur ein anderes Wort für das Verlangen, ihr noch näher zu sein, innig verbunden zu sein, mit ihr zu verschmelzen, so müsste ich es ausdrücken, verschmelzen ist nicht dasselbe wie sich lieben, sexuell lieben, verschmelzen ist ein anderes Gefühl, aber vielleicht lässt sich das auch nicht sagen, nicht genauer bestimmen, und es ist eigentlich unsinnig, solche Gefühle bestimmen zu wollen, an einem so schönen Abend, in romantischer Stimmung, so heisst es, aber für mich heisst romantisch gar nichts, es ist eher ein Wort, um nichts Genaueres zu sagen, so eine Umschreibung, und ich lehne Umschreibungen ab.

Jedenfalls liebe ich so einen Abend. Nichts, was dazwischenkommt, und dass man, wenn man so daliegt, doch irgendwelches Zeug denkt, weil es dazwischenkommt, ist ja vielleicht auch komisch, oder unsinnig, aber ich denke manchmal einfach auch solches Zeug und das ist weiter nicht schlimm.

Und so dunkelt es ein, und die Luft ist lau und mir fällt da im Park beim Eindunkeln die Neonschrift auf dem Museum vor mir auf, die habe ich früher gar nicht gesehen, Grossbuchstaben, warum schreibt man mit Neon auf Museen, und in der Nacht?

«A work of art without emotions is not a work of art.» Das zweite «work» allerdings ist nicht beleuchtet, aber man kann es doch wahrnehmen. Absichtlich nicht beleuchtet? Sicherung defekt, denke ich.

«Ein Kunstwerk ohne Emotionen ist kein Kunstwerk.» Ich frage Liese, was das bedeuten soll. Was sie dazu meint, aber sie döst. Meine Fragerei geht ihr ab und zu auf die Nerven, ich würde zu viel fragen, zu unsinnigster Zeit, meint sie, man soll das Leben geniessen, und nicht dauernd fragen, aber warum schreiben sie denn solches Zeug an die Wand, und was heisst denn «ein Kunstwerk ohne Emotionen»? Haben Kunstwerke Emotionen? Wirklich? Die meinen wohl Kunstbilder, das da vorn ist ja auch ein Kunstmuseum, also müssen Bilder gemeint sein. Die haben Emotionen? Ich frage doch Liese, und sie kuschelt sich nur an mich und meint, ich solle nicht solchen Blödsinn fragen, Kunstwerke hätten nicht mehr Emotionen als Regenschirme oder Eisenbahnschienen, aber ich denke, das ist nicht gemeint.

Oder doch? Haben die eine Seele? Eine emotionale Seele? Vielleicht verborgen? Ist das das Künstlerische? Künstliche? Die Kunstwerkseele, die emotional ist?

Und das da an der Wand – die Schrift, das Neonige: Ist denn das ein Kunstwerk? Oder grossflächige Belehrung? Sind Belehrungen auch Kunstwerke? Und sind Belehrungen in diesem Falle auch emotional? Die Neonschrift? Ein emotionales Wesen? Soll ich nochmals Liese fragen? Mich trauen? Meine emotionale Liese?

Ich will mich aufrichten, aber Liese zieht mich wieder zu sich herunter, an ihren Busen, der beseelt ist – das mindestens ist sicher, richtig warm und üppig und beseelt, und ich liebe diesen Körper, der keine solchen Neon-Behauptungen von sich gibt …

… nel museo (Napoleone nudo, autorizzazione Antonio Canova) …

… Hör endlich damit auf, dein eigener Unterdrücker zu sein. – So die Schlagzeile vor einiger Zeit in der renommierten Zeitung. Die Dringlichkeit des Rates, der Aufforderung, ja des Befehls stach mir sogleich in die Augen. Jawohl! Ich war gemeint. Genau ich. Ich der ich mir seit jeher bewusst, schmerzlich bewusst bin, ein Duckmäuser, ein Kriecher, kurz ein Unterdrückter zu sein, und zwar unterdrückt durch niemand anders als durch mich selbst. Geknechtet. Und wodurch? Durch meine angeborene oder anerzogene Bereitschaft mich zu unterwerfen. Durch mein weicheierhaftes Bedürfnis, mich klein und unscheinbar zu machen und allerorts zu kuschen. Mich zu verleugnen, meine Vorstellungen für nichtig und nichtswürdig zu achten, sie schliesslich zu vergessen. Statt mich zu outen. Mich und meine Kreativität, meine Ideen, meine Projekte, meine heimlichen Ziele. Mein verborgenes Streben, nicht Knecht, sondern Herr zu sein. Endlich einmal zu sagen, wo es lang geht. Was zu tun und zu unterlassen ist. Mit den Staatsfinanzen, mit der Wirtschaft, mit dem Strassenbau und der Glasfaserplanung. Bei uns zum Beispiel haben sie die Glasfaserzulieferung voll verschlampt.

So las ich weiter. Denn hier ging es um meine Persönlichkeit; hier wurde beschrieben, wie ich mich von meiner Unwürdigkeit befreien konnte. Dass ich richtig lag, bezeugte das wundervolle Portrait der reizenden jungen Frau. Ihr Gesichtsausdruck bewies, dass sie wusste, wovon sie sprach. Ja, sie wirkte selbstbewusst – sie w a r selbstbewusst; der Blick ihrer tiefsinnigen Augen hatte etwas vornehm Magisches an sich, ich kann es nicht anders beschreiben, ihre sanften Lippen zeigten eine gelassene Strenge, die mich berührte und beeindruckte; unwillkürlich kam ich zur Überzeugung, dass sie und nur sie mir Rettung böte, dass sie mich zu meiner Selbstbestimmung führen, dass sie mich erlösen würde, und sogleich beschloss ich, mich in die Reihe ihrer Gefolgsleute, ihrer Follower einzugliedern.

Es zählen sich offenbar bereits Millionen dazu, die alle aufgehört haben, ihr eigener Unterdrücker zu sein. So kann es nicht falsch sein, mich auch zu diesen Followern zu zählen, zu ihrem Gefolge. Das ist allerdings ziemlich schwierig, denn ich bin der jungen und attraktiven Frau noch nie wirklich, das heisst in meinem realen Leben, begegnet, obwohl ich seit der Lektüre täglich nach ihr Ausschau halte.

Aber das ist wohl zu konkret gedacht, denn wenn ich sie auf der Strasse zufällig treffen würde, dann wären schon Millionen hinter ihr her, und ich würde es schwer haben, meinen Platz in ihrer Gefolgschaft zu finden. So muss ich mich auf mediale Bekanntschaft beschränken, das heisst, ich besuche sie seither regelmässig, täglich mehrmals, kenne sie also in- und auswendig, was umgekehrt nicht der Fall ist – sie scheint mich noch nie besucht zu haben.

Das ist auch nicht so wichtig, denn ihre Mitteilungen an mich sind viel tiefsinniger und reichhaltiger, als ich es je sein könnte. Sie informiert mich regelmässig, welche Sonnenbrillen sie trägt, welche Hosen und Tops, welche flauschigen Jupes und in welchen wohlgeformten Turnschuhen sie ihre zarten Füsse spazieren führt.

Ich kenne mittlerweile die kleinsten Details ihrer Kosmetik für Lippen, Wangen, Stirn, Ohren, Hals, Hände und Arme, und bin überrascht von der Geschwindigkeit, mit der sie stets neue Produkte findet. Bambus-Zahnbürstchen zum Beispiel, in Hunderten von Farben, oder Trainingsanzüge, denn sie macht – wie sie mich informiert hat – täglich Meditation und Yoga. Oder spaziert. Oder betreibt Fitness. Und ernährt sich gesund.

Und: Sie gibt immer gute Ratschläge. Immer. Zum Beispiel: Sei du selbst. Lass dich von Frauen, die du liebst, online inspirieren. Genau das tue ich, denn ich liebe sie, heimlich, die unendlich wandelbare Schönheit. Und ich lasse mich sogar warnen: Sei keine Kopierkatze. Um Himmels Willen: auf gar keinen Fall.

Und schliesslich gibt sie mir auf den Weg: Arbeite an deinen Seiten, regelmässig – die rechte Zeit und der richtige Rhythmus sind fundamental! Ich liebe Sie – meine Heldin und Lehrerin. Fürs Leben! …