… Biscotti, Grissini, Apfelkuchen, Vollkornbrötchen, Butter, ein Gläschen mit Marmelade – Pfirsichgeschmack – Joghurt, Doughnut, Schokoladenkeks, Schinken, Wurst, Käse, un Bacio di Dama, ein Schokoladenherz, ein Dolce piccolo, Nutella, ein Schaumbrötchen – alles sorgsam und millimetergenau auf einem Frühstückstablett drapiert, dazu Latte macchiato, Wasser. Der Barista ein Könner und Künstler. Dafür erbat er sich allerdings bei seinen Gästen Geduld, und leider erfreuten sich nicht alle des Wartens und seiner Künste.

Aber wer ist denn so unkultiviert, solche Werke zu verachten? Oder genauer: Wer glaubt denn, nur hohe Kunst sei der Bewunderung wert und nicht eine solche Assemblage? Eine visuelle Komposition? Nein, keine Collage, hier wird nicht mit Leim hantiert, sondern so fein geordnet, dass auch beim Servieren nichts herunterfällt oder durcheinandergerät.

Und beim genussvollen Verspeisen des Kunstwerkes – bei seiner Zerstörung, nota bene – macht sich der geneigte Gast Gedanken zu den Beweggründen des Schöpfers.

Und er stellt sich vor, dieser Barista sei keineswegs von jeher ein grosser Frühstückskünstler gewesen, im Gegenteil, sondern ein ausgesprochen nachlässiger, unbedachter und sorgloser Mensch, jung, unerfahren, einer, der sich einbildete, die Welt mit ein paar munteren Sprüchen und etwas Charme zu erobern, oder vielleicht gar mit einer überheblichen Miene; doch das waren Illusionen, unter denen er mehr als einmal auf die Nase fiel. Ja er schlug sie sogar blutig und musste üble Konsequenzen tragen, wurde da und dort davongejagt, fand kein Auskommen, wusste mit seinen Talenten nichts anzufangen, zumal er sie gar nicht kannte.

Dabei lagen seine Talente nicht nur auf der Hand, sondern in der Hand, besser, in seinen geschickten Händen, und er musste lernen, dass das Leben nichts zum Verwöhnen bereithält. Oder doch? Er lernte Besseres: Dass das Leben zum Verwöhnen da ist – zum Verwöhnen anderer.

Unser Federico – wir nennen ihn einmal so – hatte seine Berufung noch lange nicht gefunden, sondern versuchte sich allerorts: als Ticketverkäufer, Mechanikergehilfe, Museumswärter, Taxifahrer – alles ohne Glück.

Schliesslich fand er – eher zufällig – Arbeit in einem Caffè. Da begann er keineswegs mit Freude, nein, auch diese Tätigkeit war ungeliebt und nicht wirklich gesucht. Entsprechend nachlässig bediente er die Gäste, die er nicht für die seinen hielt. Der Besitzer hatte ihn nur mangelhaft instruiert, liess ihn dafür bald allein die Arbeit verrichten, denn er führte zudem eine Locanda, die viel einträglicher war. Federico arbeitete soso lala; viele Gäste kamen ohnehin nicht, einzelne nur einmal und dann nie wieder, und es war eine Frage der Zeit, bis auch dieses Tun ein Ende nehmen würde.

Und wie wieder einmal die Glastür geht und scheppert, und eine Stimme Cappuccino con Cornetto bestellt, hebt unser Federico nicht einmal seinen Blick, sondern macht sich an der Faema-Maschine zu schaffen, lässt das heisse Wasser durch den Kaffeeflüchtig gepressten rinnen, packt mit der Zange ein Cornetto und platziert es auf ein Tellerchen, trägt sein Tablett zum Tischchen, das der Gast sich gewählt hat. Der Gast? Was für ein Gast?

Im selben Moment, in dem Federico die Tasse mit dem Cappuccino auf dem Tischchen platziert, unsorgfältig, so dass gar eine Spur des Milchschaums über den Rand schwappt, blickt er ins Gesicht – der wunderschönsten Frau, die ihm je begegnet ist, ins Gesicht, in ihre Augen, die eben aufblicken, zu ihm aufblicken, erstaunt, in seine Augen schauen, dann das Tässchen mit dem Milchstreifen sehen, ja sehen, Federico muss den zweiten Blick, der ihn trifft, über sich ergehen lassen, muss ihn aushalten, und wir tun uns schwer mit den Worten, denn es ist ein ganz kurzer Moment, ein Augenblick, un attimo, wie die Italiener sagen, in dem nur eine einzelne Bewegung Platz hat, das Innehalten, das Zögern, das Erstarren Federicos, und dann der unendlich lange attimo, kein attimo, sondern eine Ewigkeit, in der er vor Scham errötet, in den Boden sinken möchte, über sein Missgeschick, das eben kein Missgeschick ist, ein Missgeschick ist eine Nebensächlichkeit, verzeihlich, jedes Missgeschick ist verzeihlich, nicht aber eine Nachlässigkeit, nicht eine Schlampigkeit, und Federico schämt sich, schämt sich eine Ewigkeit lang über den Streifen Milch, der auf der Aussenseite der Tasse mit unendlicher Langsamkeit niedergleitet.

Schliesslich aber fasst er sich, unser Federico, und das war sein Glück. Die Sache zu retten. Nicht aufzugeben. Dem Blick standzuhalten. Federico trug das Ganze zurück zur macchina, platzierte eine neue Tasse unter deren Hahn, bereitete eine neue Portion Kaffee vor, spannte sie in den Schlitz der Maschine, schäumte nochmals Milch – setzte mit grösster Sorgfalt die Tasse auf ein neues Tellerchen und trug sie mit noch grösserer Achtsamkeit zum Tischchen und unter die Augen der Schönen. Sie neigte ein klein wenig den Kopf, dankte und erbat sich ein Glas Wasser. Auch dies besorgte Federico, rückte dann, um seine plötzlich erwachte Dienstfertigkeit zu betonen, den Teller mit dem Cornetto sachte zurecht und neben den Kaffee und das Wässerchen.

Bald einmal erhob sich die junge Dame, bezahlte an der Bar, liess ein kleines Trinkgeld in die Kasse gleiten und verschwand zur Tür hinaus. Federico eilte, um das Geschirr zurückzutragen, und mit Bedacht und Sorgfalt stellte er es in die Waschmaschine.

Natürlich träumte Federico in den nächsten Nächten von der Schönen. Träumen ist ungenau beschrieben, er träumte und wachte, und die Traum- und Wachbilder flossen ineinander. Ein sanftes, zartes, helles Gesicht, mit aufmerksamem, besonnenem Blick der tiefen Augen, kräftiges, dunkelbraunes, tiefbraunes, doch nicht schwarzes Haar, ein ebenso kräftiger, doch eher kleingewachsener Körper, was er rasch zur Kenntnis nahm, war er, Federico, doch ebenso kleingewachsen und trug in sich eine entsprechende Scheu vor grossen Frauen.

Es war eine Prinzessin, es musste eine Prinzessin sein, und Federico fürchtete, dass sie sich nie mehr zeigen würde, nie mehr, dass sie sich lediglich ins Caffè verirrt hatte, dass sie ganz woanders hingehörte, in andere Gaststätten, in gepflegte Hotels, ja auf einen weitläufigen Landsitz … Aber dann trat sie plötzlich doch wieder ins herein. Federico war gerade mit den Wünschen dreier Herren beschäftigt – die er allerdings – nach seiner schamvollen Erfahrung – genauso bediente, wie er die Prinzessin bedient hatte: aufmerksam, präzise, mit der richtigen Menge Schaum und Schokoladepulver, mit einem Wassergläschen und wohlgesetztem Cornetto auf dem Tellerchen.

Er hatte sich geschworen, keine Blösse mehr zu geben, keine Unachtsamkeit, keine Nachlässigkeit; immer noch sass die Scham im Nacken. Nein, vielmehr hatte er insgeheim gehofft, dadurch die Prinzessin wieder heranlocken zu können, sozusagen ihr – auf irgendeine magische Weise – zu verstehen geben, dass er sich gewandelt habe. Und nun sass sie wieder da. Gleich neben der Tür. Und wartete. Und musste noch eine ganze Weile warten, denn zwei Damen, die noch vor ihr erschienen waren, wünschten Wein und waren bei der Wahl kompliziert und langfädig, und Federico brannten die Nägel. Aber auch da bemühte er sich, bis er endlich die Prinzessin bedienen konnte. Offensichtlich hatte sie mit wachen Augen seine Eile und Sorgfalt beobachtet, denn sie begrüsste ihn mit einem Lächeln, bei dem sie die Lippen kräuselte, so reizend, dass Federico wieder errötete, diesmal nicht vor Scham, sondern aus Freude und Verliebtheit.

Die beiden fanden sich, wer will denn das Gegenteil vermuten. Die Prinzessin ist keine Prinzessin, natürlich nicht, und doch ist sie eine Prinzessin, jedenfalls nennt Federico sie heute noch so. Sie war Hausmädchen in einem Hotel. Mit Ambitionen. Und so ist sie heute nicht nur Mutter von zwei Töchtern, sondern auch für die Hauswirtschaft eines Hotels zuständig. Sie hat sich weitergebildet. Und ihr Mann – Federico – leitet immer noch seine Bar. Er hat sie sich längst zu Eigen gemacht. Aber er öffnet sie erst am späteren Morgen, denn in der Frühe besorgt er la colazione der Hotelgäste. Da, wo er seine Prinzessin verehrt. Und auf den Frühstückstabletts seine Kunstwerke gestaltet …